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Weihnachten 1945 in Radbruch

Günter Schulze (Oktober 1995)

Ich habe mir für das "Echo" einmal von alten Radbrucherinnen und Radbruchern (darunter dem ältesten Einwohner) etwas über das Weihnachtsfest im Jahre 1945 erzählen lassen. Ihr Rückblick zeigt Radbruch anders, als wir es heute kennen.

Das Kriegsende bedeutete auch für unser Dorf einen gewaltigen Einschnitt. Während sich viele lokale "Ex-Parteigänger" plötzlich in einem Lager in der Südheide wiederfanden, hielten in Radbruch britische Besatzungssoldaten Einzug, für die etliche Häuser geräumt werden mußten. Den Briten war das Holz des Radbrucher Waldes als deutsche Reparationsleistung zuerkannt worden, und so kam bald eine Anzahl kanadischer Holzfäller und machte sich an die Arbeit. Zugleich trafen die ersten Flüchtlingstrecks ein. Die Dörfer Hunden, Fahrenholz, Eichholz, Tönnhausen, Nieder- und Obermarschacht waren wegen der Einquartierung polnischer Besatzungstruppen evakiert worden, so daß viele der Einwohner mitsamt den ursprünglich von ihnen aufgenommenen Flüchtlingen in Radbruch Zuflucht suchten; hinzu kamen ehemalige russische Zwangsarbeiter. Die Marschdörfler konnten zwar noch vor Weihnachten in ihre Häuser zurückkehren, und auch die Kanadier zogen wieder ab; dafür erschien eine deutsche "Forstkompanie"; ausgehungerte Kriegsgefangene, die die Abholzung übernehmen sollten. Zunächst wurden sie in einer Scheune in der Rottorfer Straße untergebracht, dann zogen sie in drei Baracken auf dem heutigen Hartung-Gelände. Die alten Bauern erinnern sich noch lebhaft an so manche freiwillige (und unfreiwillige) Spende an die "Kantine" der Gefangenen.

Zum Weihnachtsfest erteilte die britische Kommandantur eine Ausnahmeerlaubnis: jede deutsche Familie durfte einen Kriegsgefangenen zum Essen einladen. In der Post wurde eine Liste ausgelegt, in die sich die Gefangenen für die Einladung eintragen konnten. Am Heiligen Abend brachten sie selbstgebastelte Geschenke mit: Wäscheklammern, Holzpantinen, Fílzpantoffeln - was sich halt aus dem Greifbaren machen ließ. Viel gab es nicht. Trotzdem war es für viele ein ganz besonderes Weihnachtsfest, und so mancher deutsche Forstkompanie-Gefangene wurde später Radbrucher Bürger.

Übrigens gab es zu Weihnachten damals im Dorf weder Schnee noch Eiseskälte. Es hatte auch niemand Verlangen danach. Gerade war der Krieg vorbei. Wie heute anderswo.


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